Bach: St John Passion (Concert Review - Frankfurter Rundschau, 2016)

Jesus als Herrscher über sein Schicksal

Stephen Layton mit einer bravourösen Aufführung von Bachs Johannes-Passion in der Alten Oper Frankfurt. Mit Ian Bostridge als Evangelist.

Der Vokalklang zeichnet sich durch eine „schlanke Fülle“ – keine monumentale Wucht also – aus. 26 Sängerinnen und Sänger sind auf dem Chorpodium gruppiert: Der britische Dirigent Stephen Layton hält es mithin nicht mit der inzwischen alternierend gängigen Minimalbesetzung, die auf die Hypothese des amerikanischen Musikwissenschaftlers Joshua Rifkin zurückgeht, derzufolge Bach mit einem Chor gearbeitet haben soll, der aus nicht mehr als den vier Vokalsolisten sowie ebenso vielen Ripienisten, also Füllstimmen bestanden habe.

Es geht nach wie vor anders, das unterstrich in einer bravourösen Art Laytons Aufführung von Bachs Johannes-Passion BWV 245 mit dem vor genau dreißig Jahren von ihm gegründeten Londoner Kammerchor Polyphony und dem Orchestra of the Age of the Enlightenment in der Frankfurter Alten Oper; mit Ausnahme von zwei Vokalsolisten folgte die durch und durch ausgesuchte Besetzung jener der 2013 veröffentlichten Einspielung.

Ian Bostridge als Evangelist – das ist eine erste Wahl für diese zentrale Figur, dem Angelpunkt einer solchen Aufführung. Seine Gestaltungsmittel sind von seinem Liedschaffen geprägt; in einer asketischen Weise entwickelt er eine so schlichte wie prägnante Statur in jedem einzelnen Moment.

Jenseits der Extreme

Der Bass Neal Davies stellt Jesus nicht als Dulder, vielmehr als Herrscher über sein Schicksal und damit ganz im Sinne dieser Passion dar; die Stimme hat einen kräftigen Kern. Herrlich frei strömt der Altus von Iestyn Davies, in einer opernhaften Art gestisch ist die Vortragsart der Sopranistin Julia Doyle. Dynamisch zurückhaltend und dadurch umso wirkungsvoller ist der Tenor von Stuart Jackson, eine unterschwellig beinahe komödiantisch spielerische Ader inbegriffen. Eine starke Position markiert der Bariton Roderick Williams als stimmlich geschmeidig-markanter, auch gleichsam szenisch raumbehauptender Pilatus.

Auf ein Ausloten der Extreme ist Stephen Layton nicht bedacht, die Tempi bleiben moderat; als Instrument fürs Continuo setzt er die Truhenorgel ein und lässt das Cembalo außen vor. Lebensvoll rege gelingen die Turbachöre, jene also, in denen sich das Volk artikuliert. Layton strukturiert präzisionsscharf, straff gespannt ist der dramaturgische Bogen. Mit einem aufmerksamen Sinn für dynamische Feinheiten vermochte er die Spezialisten des Spiels auf alten Instrumenten vom Orchestra of the Age of Enlightenment zu einem vitalen Spiel zu motivieren. Eine Aufführung von nachgerade theatraler Dichte.

 Von STEFAN MICHALZIK