Pärt: Triodion (CD Review - Klassik Heute, 2004)

Neues von Arvo Pärt, dem aus Estland stammenden, jetzt 68jährigen Repräsentanten einer kreativ auf minimalistisch-harmonischen Klangstrukturen basierenden Moderne. Alle hier im Januar des Jahres 2003 produzierten Beiträge sind zwischen 1996 und 2002 komponiert worden. Sie gehören ausnahmslos zur Gattung geistlicher, liturgisch ungebundener Vokalmusik. In dieser Eigenschaft konfrontiert das Programm die Zuhörer nicht nur mit einer Auswahl von Wortvertonungen in Gebetsform, sondern steigert zugleich die von Pärt seit den 1970er Jahren geprägten Ausdruckselemente. Es handelt sich dabei um den vom Komponisten selber so titulierten Glöckchenstil Tintinnabulum. Nicht von ungefähr stellen sich Assoziationen zu den entrückten Glockenrufen eines Eremiten in Klausur ein. Vereinfacht gesagt, handelt es sich dabei um eine zwischen mittelalterlicher Kargheit und moderner Kurzmotivik pendelnden Konzentration auf das tonale Zentrum eines Glockenklang-Spektrums bis hin zur Stille musikalischer Pausenzäsuren.

Aufführungspraktisch bedeutet dies eine Folge gebetsmühlenartig psalmodierender Litaneien im Kontext einer durch Akkord-Rückungen und Wortwiederholungen intensivierten Textaussage. So gesehen gelingt Pärt sogar das Wagnis der Vertonung schier endloser Namensreihungen aus dem Stammbaum Jesu ... which was the Son of ... in der Gestalt eines suggestiven Ostinato (Track 3 nach Lukas 3, Verse 23-38). Vergleichbares gilt für den auskomponierten Sachartikel eines Kirchenlexikons (Tr.1:Dopo la vittoria) oder für die Drei-Oden-Reihung Tri-Odion, dem Sammeltitel der vorliegenden CD (Tr. 6). Fazit: Wenn eine derartige Andachtshaltung – fern von jedem Klangaktionismus und das genaue Gegenteil harmonisch üppiger Szenenwechsel – hier eine außerordentlich vergeistigte Gestaltung erlebt, dann ist das nur durch eine nicht hoch genug einzuschätzende Interpretenleistung zu erreichen. Hier erweisen sich das edel geschliffene, faszinierend stimmkultivierte, lupenreine Non-Vibrato-Singen des Londoner A-cappella-Ensembles Polyphony (9 Damen, 12 Herren) und das orgelbegleitete, monoton entrückende Wortdeklamieren des Countertenors Christopher Bowers-Broadsent in der visionären Highlands-Erzählung (Tr. 7) als eine ideale Voraussetzung. Nicht zuletzt konzentriert sich die Anerkennung für das Gesamtergebnis auf den mehrfach preisgekrönten Dirigenten Stephen Layton, der sich wiederholt als Interpret der Vokalmusik Pärts bewährt hat. Unruhige Gemüter, deren musikalische Neigung zu mehr Dramatik, Rhythmik und instrumentalem Farbenreichtum tendiert, halten sich jedoch von dieser CD mit ihren lateinischen, italienischen und vor allem englischen Textmeditationen besser fern.

 

Gerhard Pätzig

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